Bitte nicht nachtreten!
Geschrieben von Ute Kretschmer-Risché | Blog

Ich habe mich in den letzten Tagen per Mail mit einem Ex-Mitarbeiter gekappelt. Wir haben verschiedene Auffassungen, wie ein Arbeitgeber ein Unternehmen führen soll und was die Aufgaben eines Arbeitnehmers sind. Dabei geht es um Grundsätze: Was ist mir als Chefin wichtig? Was ist gut für das Unternehmen? Für welche Werte stehen wir? Können das alle mittragen? Werde ich verstanden? Was muss ich für mehr Akzeptanz tun? Brauchen wir eine Kurskorrektur?

Mehrmals habe ich Unternehmen im Change Management begleitet: neue Strukturen, neue Prozesse, das Entwickeln eines Unternehmensleitbildes. Der Versuch, alle im Team abzuholen und einzubinden. Aber auch die Erkenntnis, dass das nicht immer funktioniert. Dann ist es am sinnvollsten, sich zu trennen. Ein normaler Vorgang – wenn es auf beiden Seiten fair zugeht. Das berühmte: WIE trennen wir uns? Das bedeutet für mich: Bitte beidseitig nicht nachtreten. Man muss sich ja nicht gleich auf die Schulter klopfen, aber auch keine Rote Karte provozieren.

An der Wortwahl merken Sie, ich nehme Anleihe an meinem Lieblingsthema Fußball. Hier haben wir doch wunderbare Beispiele. Wie Trainer entlassen werden. Wie Fans reagieren. Wie Spieler Vereine wechseln und neue Treue schwören … Ich habe zwei bemerkenswerte Ereignisse, mal nicht negativ, sondern mit Vorbildcharakter. Und diese Wirkung sollte Sport ja immer haben!

1. Beispiel: Als unser Klopp ging, ließ ich zunächst kein gutes Haar an seinem Nachfolger Tuchel. Aber ich musste längst meine Meinung revidieren. Nicht weil er mit dem BVB gewinnt, sondern weil er einen starken Auftritt hat. Er wirkt gelassen, sympathisch, geradlinig, in Interviews aufmerksam und geduldig. Was wir in den Medien als „authentisch“ bezeichnen. Und er hat etwas gemacht, das ihn als starke Führungskraft auszeichnet: Er hat seinen Vorgänger gelobt!

„Wir hätten hier nicht so gewinnen können, wenn Jürgen nicht super Arbeit geleistet hätte. Wir müssen damit aufräumen, dass unsere jetzigen Leistungen immer gleich Kritik an Jürgen Klopp sind. Das gehört sich nicht. Das will ich nicht … Wir führen die Basis, die Jürgen hier hingestellt hat, fort. Und die ist herausragend.“ Das ist stark! Zu oft verfahren wir nach dem Prinzip „Der König ist tot. Es lebe der König.“ Was davor war, ist schnell vergessen. Aber alles, was passiert ist, prägt auch die Zukunft.

2. Beispiel: Gestern endete die Transferfrist im Profi-Fußball. Wir Fans wunderten uns über horrende Summen. Aber auch über Spieler, die erst ihre Nibelungentreue zu „ihrem“ Verein verkünden, um ihn kurz darauf zu verlassen. Wie es anders geht, zeigt „unser“ Spieler Oliver Kirch, der vom Trainer ausgemustert zum Zweitligisten Paderborn wechselt. „… Die 30 Pflichtspiele“, sagte Kirch gestern, „die ich beim BVB gemacht habe, würde ich für nichts in der Welt gegen 100 Pflichtspiele bei einem anderen Verein eintauschen wollen“.

Grandios! Diese Loyalität und diesen Enthusiasmus wünscht sich jeder Arbeitgeber von einem Mitarbeiter – und hier natürlich jeder Fan! Kein Nachtreten! Kein verbales Foul! Das ist Wertschätzung, zeigt Stil und gegenseitigen Respekt. Was kann es Schöneres geben, als wenn ein Ex-Mitarbeiter gerne auf einen Kaffee vorbei kommt … In diesem Sinne sollten wir im Team stets sportlich fair bleiben. Das ist mein persönlicher Tuchel-Kirch-Effekt.

Was meinen Sie? Bitte schreiben Sie mir.