Eigentlich finde ich „eigentlich“ blöd
Geschrieben von Ute Kretschmer-Risché | Blog

Eigentlich ist das eine dämliche Überschrift. In manchen Punkten bin ich wie ein Pawlowscher Hund. Zum Beispiel in der deutschen Sprache. In meinem Kopf spielen sich ständig Programme ab, wenn ich Rednern zuhöre. Wörter, an denen ich mich stoße. Sätze, die ich umformuliere. Aussagen, die ich auf ihre Semantik überprüfe. Klingt anstrengend? Ist eher ein Automatismus, wie bei einem geübten Sänger, der seine Ohren bei Tönen spitzt. Ich kann nicht anders. Wie ein Schuster, der auf die Schuhe anderer achtet. Wie ein Sommelier, dessen Gaumen immer im Testmodus ist. Wie eine Schneiderin, die ständig nach unsauberen Nähten sucht.

Ich habe Lieblingswörter. Anachronismen einer vergangenen Zeit, als wir ein Land der Dichter und Denker waren. „Gleichwohl“ ist so ein Begriff, der mir wie Öl herunter läut. Doch aus und vorbei. Ich muss mich umstellen. „Leichte Sprache“ ist das neue „Sesam öffne dich“ der Kommunikation. Der Verein „Netzwerk der Leichten Sprache“ definiert:

„Leichte Sprache heißt zum Beispiel:
Der Text hat nur kurze Sätze.
Es gibt nur bekannte Wörter.
Es gibt kaum Fachwörter oder Fremdwörter. Oder diese schweren Wörter werden erklärt. Der Text hat Bilder.
Die Schrift ist groß.
Leichte Sprache ist für viele Menschen sehr wichtig.

Das Ziel von Leichter Sprache ist:
Alle Menschen sollen alles verstehen!
Alle Menschen sollen überall mitmachen können.“

Ich lerne. Ich versuche, mich umzustellen. Es fällt mir noch schwer. Vor allem mit meinen eigenen Texten. Bin ich doch seit vielen Jahren geübt darin, variantenreich und mit vielen Synonymen zu schreiben. Das hier ist kein „Leichter Text“ im Sinne der Entwickler. Dessen bin ich mir bewusst. Aber ich habe Kunden, deren Texte ich passgenauer transportiere. Wenn das Ziel lautet: Die Botschaft soll bei der Zielgruppe ankommen und verstanden werden. Zu oft erlebe ich Experten, die sich nur innerhalb ihrer Kreise verständlich ausdrücken können. Die berühmte Sprache der Ingenieure oder das verklausulierte Beamtendeutsch. Das muss die Rote Karte geben. Sonst treiben wir Menschen in die Arme von Sprach-Demagogen, die mit einfachsten Ansagen sogar Fakten glaubhaft verdrehen können.

Ich rede und rede. Mir den Mund fusselig. Ja, liebe Kunden, wir müssen uns umstellen. Noch genauer schauen: Wer ist unsere Zielgruppe? Kann sie uns verstehen? Was ist denn unsere Botschaft? Und was ist entscheidender? Der schöne Text oder dass unsere Aussage ankommt? Das betrifft ja nicht nur die Sprache. Auch das passende Medium, die Aufmachung, das Schriftbild, die Gliederung … Barrierefreies Internet ist ein wichtiges Stichwort. Wir erstellen gerade ein Internetportal für einen Kunden. Das Hineinversetzen in Menschen mit Handicaps. Wenn wir als Dienstleister – und im Grunde ist das jeder – nicht vorbei kommunizieren wollen, erleben wir eine weitere Revolution. Ich erwarte den nächsten Aufschrei: Könnt Ihr nicht mehr schreiben? Doch! Aber anders.

Was meinen Sie? Bitte schreiben Sie mir (frei von der Leber weg, ich sitze nicht mit Rotstift beim Lesen):

Auflösung: Warum ich „eigentlich“ nicht mag? Der Duden definiert dieses Adverb wie folgt: „… kennzeichnet einen meist halbherzigen, nicht überzeugenden Einwand“. Und das ist so gar nicht mein Ding. Ich liebe klare Botschaften und Aktionen. Das ist eigentlich (bitte streichen: eigentlich) mein Stil …