März 2021: Mahlzeiten
Geschrieben von Ute Kretschmer-Risché |

Okay, wir sind Gewohnheitstiere. Besonders beim Thema Essen. Was wir essen, wie wir essen, wann wir essen. Bestimmt auch: mit wem und wo wir essen. Als Gewohnheitstiere schütteln wir den Kopf über die Gewohnheiten anderer. Wir gehen wohl immer davon aus, dass die eigenen Gewohnheiten allgemeingültig sind und auch für alle anderen gelten. Drei Beispiele.

„Mahlzeit!“ Der Gruß wohl in allen (?) deutschen Unternehmen zu allen möglichen, auch unpassenden Zeiten und Gelegenheiten. Ich habe in einem schwäbischen Betrieb gelernt, dass dies keineswegs nur die Alternative zu „Guten Appetit“ ist, wenn man vor dem vollen Teller sitzt. Auf dem Weg zur Kantine, unabhängig von der Uhrzeit, aber auch auf allen Gängen zu allen Begegnungen. Weil man sich bereits „Guten Morgen“ gewünscht hat? Besonders irritierend: Auch beim Betreten der Toilette. Wenn das Ritual zur nicht-durchdachten Gewohnheit wird. Nicht ironisch, einfach nur unüberlegt.

„Darf ich dir etwas zum Essen anbieten?“ Oder direkter: „Magst was mitessen?“ Für mich klar: Ich sage Ja oder Nein. Je nach Blick auf die Uhr, Essensangebot (oder auch beim Blick auf Küche und Hygiene) oder dem Erkennen des Tonfalls, ob es einfach nur eine leere Hülle der Höflichkeit ist. Ganz anders bei arabischen Gästen. Irgendwann habe ich gelernt: Man muss mehrmals bitten, bevor die Einladung angenommen wird. Ein typisch arabisches Ritual. Zu schnell zuzustimmen gilt als sehr unhöflich. Oder wie es der syrische Journalist Khalil Khalil ausdrückt: „Als ich in Deutschland ankam, ging ich davon aus, es sei hier auch gang und gäbe, dass man mehrfach etwas zum Trinken bzw. Essen angeboten bekäme, weil die ersten Versuche des Anbietens bei uns als Floskeln gelten; und man sollte das erste bzw. zweite Angebot aus Höflichkeit mit einem zurückhaltenden Lächeln nicht annehmen. Und das war der Grund, warum ich öfter hungrig bzw. durstig geblieben bin – na ja, selbst schuld.“

Meine Gewohnheit: immer der gleiche Essensplatz. Zuhause hat wohl jeder seinen festgelegten Stuhl. Das geht mir aber auch als Gast so. Sobald ich einmal jemanden besucht habe, steuere ich immer das gleiche Möbel am gleichen Standort an. Warum? Ich liebe doch wechselnde Standorte – zumindest im Denken. Warum nicht auch beim Sitzen und Essen? An der Stelle überwiegt anscheinend der Wohlfühlcharakter. Vielleicht auch das Unbewusste: An diesem mir bereits einmal zugewiesenen Platz bin ich gern gesehenes Teil im Fremden.

Was lernen wir? Nicht nur das Essen selbst, auch die Rituale dazu, sind in vielen Haushalten, Ländern, Kulturen, auch Religionen sehr unterschiedlich. Manches dagegen ist gleich. Gemütlichkeit ist immer mit viel Zeit und gutem Sitzen verbunden. Stehen und Gehen ist charakteristisch für Fastfood und fehlenden Stil. Deshalb: Gewohnheitstiere dürfen ihre Gewohnheiten gerne überdenken. Aus eigener Erfahrung: Das bereichert sehr, öffnet Blick (und Gaumen) und fördert Begegnungen und Freundschaften.

Mahlzeit! (Kurz vor 9!)
Ihre Ute Kretschmer-Risché