KALENDER-Icon

August 2016
Bildung

Nach meiner mündlichen Abiturprüfung schmiss ich meine Tasche in mein Zimmer und jubelte: „Nie wieder eine Prüfung. Nie wieder lernen.“ Ich erinnere mich noch gut an den tadelnden Blick meines Vaters: „Wenn du so etwas sagst, hast du das Reifezeugnis nicht verdient.“ Natürlich hatte er recht und ebenso natürlich wusste ich, dass mein Wunsch weder fromm noch chancenreich war. Auch wenn ich keine gute Schülerin war, so hatte ich doch eine Motivation: Ich wollte mitreden und ernst genommen werden. Dazu brauchte ich Wissen, Rhetorik und ein gutes Auftreten.

Das bedeutete in den 70er und 80er Jahren: Gedrucktes lesen, lesen, lesen – und zuhören. Aufmerksam sein. Ich war Dauergast in der Stadtbibliothek und sammelte alle Zeitungen und Zeitschriften, die ich in die Hände bekommen konnte. Vom Politikmagazin über Geo oder ars bis hin zum Jägerblatt. Alles war spannend. Und wie ist das heute?

In den Medien haben viele Erfolg, die weder über vielfältiges Wissen verfügen, noch über gefeilte Rhetorik oder gutes Auftreten. Lautsprecher-Menschen und Blender können weit kommen. Bleibt die Bildung also auf der Strecke? Zunächst mal ist Bildung Menschenrecht und Teil der UN-Menschenrechtscharta: „… Bildung muss zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen rassischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein…“ Haben wir deswegen so viele Kriege und Streitigkeiten, weil Bildung fehlt?

Bildung ist oder sollte zumindest der Einstieg in ein Leben mit mehr Chancen sein. „Bildung hat in der modernen Gesellschaft einen hohen Stellenwert“, so die Soziologin Jutta Allmendinger: „Sie entscheidet maßgeblich über Lebenschancen und befähigt Menschen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.“ Aber was ist denn nun Bildung? Die Summe aller Schulfächer? Vorausgesetzt, wir lernen, was uns vorgesetzt wird? Nach dem früheren Automanger Daniel Goeudevert ist Bildung „ein aktiver, komplexer und nie abgeschlossener Prozess, in dessen glücklichem Verlauf eine selbstständige und selbsttätige, problemlösungsfähige und lebenstüchtige Persönlichkeit entstehen kann“.

Bildung ist demnach weit mehr als Wissen. Denn Wissen alleine schleppen wir mit unserem Smartphone und Google, dem größten Lexikon aller Zeiten, permanent mit uns herum. Wir könnten also die klügsten Menschen aller Zeiten sein. Noch nie war es so einfach, an Wissen zu kommen. Aber ständig erlebe ich Menschen wie das Kaninchen vor der Schlange. Fast in Schockstarre. Oder zumindest in Lethargie. „Bild dir deine Meinung“ wirbt die BILD-Zeitung und bietet Häppchen-Journalismus mit boulevardesker Aufbereitung. Nur die Welt ist sehr komplex und eben nicht auf reduziertem Schlagzeilenformt zu erklären. Wer sich wirklich eine Meinung bilden will, braucht viele Infos und ein Denk-System, um z.B. keinen manipulativen Botschaften auf den Leim zu gehen.

Leider lese ich in Bewerbungen äußerst selten die Aussage: „Ich bin lernbegierig. Ich möchte gerne mehr wissen.“ Vielleicht haben Lernen und Bildung mittlerweile ein schlechtes Image. Langweilig, bieder, old school. Das wäre doch mal was: „Ich lerne so gerne“, strahlt eine junge Frau in die Kamera – und wirkt äußerst sexy. Ich bin mal wieder nicht realistisch. Attraktiver sind Ablenkungsmöglichkeiten. Denken wir nur an Computerspiele, TV-Progamme rund um die Uhr oder auch den derzeitigen Hype um Pokémon. Bestimmt bekomme ich jetzt den Einwand: Dabei könne man auch lernen. Nur was?

Dabei kann es nichts Wichtigeres geben, als dass wir jungen Menschen die Freude an Bildung, die Lust am Lernen und den Eifer am Weiterentwickeln vermitteln. Wissen alleine reicht jedenfalls nicht. Es geht um die Transferleistung: Bildung, Ereignisse und Entscheidungen in den richtigen Kontext zu setzen. Das ist  mehr als reines (Auswendig)Lernen und zeigt sich nicht nur in guten Noten. Da braucht es Erfahrung, Mut zur Entscheidung und die Bereitschaft, von anderen Beratung anzunehmen. Auch oft zu schweigen, zuzuhören, zu lesen und erst alle Fakten zu sammeln. Bild dir … deine Meinung. Entwickle Hirn – und Herz. Aus dieser Gemengelage entstehen weise Schritte.

In diesem Sinne: carpe diem. Nutzen Sie die Weisheit des Lebens. Tragen Sie selbst dazu bei. Bildung fördert Denken. Denken fördert Bildung.

August 2016: Bildung