September 2016
Gleichberechtigung
Gleichberechtigung ist als Wort schnell definiert: Die Zusicherung gleicher Rechte ohne Rücksicht auf Geschlecht, Alter, Rasse, Religion, Behinderungen oder sexuelle Neigung. Das sehen in vielen westlichen Ländern die Verfassungen vor. Aber das ist längst keine Gewissheit, dass Gleichberechtigung auch wirklich alle gleichermaßen erleben. Denn dieser Wert kann zwar im Einzelfall eingeklagt werden, aber akzeptiert und gelebt werden muss er in der Gesellschaft.
Gleichberechtigung wird oft im gleichen Atemzug wie Emanzipation genannt. Genau wie Frauenbewegung und Feminismus. Als ob Gleichberechtigung nur ein Wunsch von blaustrümpfigen Frauen wäre. Gleichberechtigt, sagte in einem Kundengespräch eine Gewerkschafterin in unserer Agentur, „sind wir erst, wenn Frauen genau so viel verdienen wie Männer“. In unserer Welt ist die Gleichberechtigung als Wertschätzung eben auch über den Verdienst definiert. Dabei besagt ja bereits die Definition: Es geht um viel mehr als um die Geschlechter-Frage. Gleichberechtigung ist auch ein Thema in der Inklusion, in der Schwulen- und Lesben-Bewegung oder ganz aktuell in der Integration von muslimischen Frauen. Wenn es nur noch um das Symbol von einem Stück Stoff geht. Ohne die Bedeutung hinter dem Tuch.
Ist die Gleichberechtigung vielleicht geglückt, wenn wir darüber gar nicht mehr reden und schreiben? Wenn alles selbstverständlich ist? Oder wenn kein Mensch (!) mehr die Zeitschrift „Emma“ kauft? Die UN definiert: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Das stimmt genau so wie die Annahme, dass Justizia blind ist und weltweit keine Unterschiede macht, wer vor dem Richterpult steht. Wir schreiben das Jahr 2016. Frauen dürfen bei uns frei wählen: in der Politik, beim Beruf oder auch, welchen Mann „frau“ ehelichen will. Oder eben auch nicht.
Und doch kommt die Emanzipation immer dann an ihre Grenzen, wenn die Mehrheit der Frauen nur innerhalb weniger frauen-typischer Berufe auswählt. Bürokauffrau statt Kfz-Mechatroniker (wie die Mehrheit der Jungs). Einzelhandelskauffrau oder Kosmetikerin statt Fahrlehrerin oder Informatikerin. Zur Entwicklungsgeschichte der Gleichberechtigung gehört die Annahme, dass allein die Präsenz von Frauen in Männer dominierten Bereichen zu Verbesserungen führen würde. Dass die Welt dann sozialer wäre, gerechter und zielorientierter. Weil Frauen viel mehr ihre Zeit einteilen müssten, durch Doppelbelastung in den Familien. Und? Was hat sich getan? Zumindest ist die Welt nicht friedlicher geworden. Wobei die Aggressoren auf unserer Erde fast ausschließlich Männer sind. Oft gewählt von Frauen.
Ok, diesen Text schreibt eine Frau. Sehe ich die Welt durch die rosarote Brille? Nein, eher kajal-schwarz gefärbt. Es gibt noch so viel zu tun für die Gleichberechtigung. Aber das ist für mich keine rechtliche Definition oder eine Quotenregelung. Die Keimzelle der Gleichberechtigung fängt in den Familien an, geht weiter in Kitas, Schulen und Unis oder aber in den Betrieben. Schön, wenn mehr junge Männer eine Lehre zum Kindergärtner machen würden … Oder wenn mehr Männer in Elternteilzeit wären und ihre Kinder nachmittags aus den Einrichtungen abholten. Oder wenn sich ein aktiver Bundesligaprofi zu seiner homosexuellen Neigung bekennen würde. Oder … Es gäbe viele Beispiele. Nein, es dürften keine Einzelfälle mehr sein. Sondern Selbstverständlichkeiten.
Und wie handhaben Sie das an Ihrem Arbeitsplatz, Ihrem Verein oder eben in Ihrer Familie?