So schaffen wir das nicht, Frau Merkel!
Geschrieben von Ute Kretschmer-Risché | Blog

Wir lächeln auf dem Bild. Dabei ist uns eher zum Heulen zumute. Und mir zum Schreien. Lamin Saidy aus Gambia lebt seit 2 Jahren in Deutschland. Sein Status: Aufenthaltsgestattung in Rastatt. Er darf arbeiten – wenn man ihn denn lassen würde. Im August haben wir zusammen mit ihm einen Antrag „auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis“ gestellt. Seither erleben wir Absurdistan mitten in Deutschland. Bereits drei Mal wurde unser Ersuchen abgelehnt.

Wir können ihm nur einen kleinen Job mit geringer Anforderung bieten: Hof und Gehweg fegen, Rasen mähen, Unkraut zupfen, Mülltonnen säubern. Wenige Stunden in der Woche. Unser Angebot: 10 Euro Stundenlohn – 1,50 Euro über Mindestlohn. Doch genau daran scheint es zu scheitern: Der Bescheid vom Kundenbereich Ausländerwesen der Stadt Rastatt wortwörtlich: „Die Agentur für Arbeit hat am 25.08.2015 mitgeteilt, dass keine Zustimmung für die beabsichtigte Tätigkeit erteilt werden kann, weil die Lohnbedingungen nicht den ortsüblichen Bedingungen vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer in Höhe von 11,50 Euro pro Stunde entsprechen.“ Wie bitte? Für fegen, mähen, putzen gilt kein Mindestlohn? Wir sollen mehr zahlen?

Es folgten mehrere Telefonate mit den zuständigen Behörden. Erklärungen unsererseits, noch mal die Beschreibung, wie geringfügig diese Arbeit ist. Kommentar einer Friseurin, der ich den Fall geschildert habe: „Darf ich bei euch arbeiten? Viele von uns verdienen weniger.“ Treu und brav haben wir Einspruch eingelegt … Gewartet … Wochenlang … Wieder abgelehnt … Kommunal- und Bundespolitiker eingeschaltet … Überall Kopf schütteln geerntet … einen neuen Antrag gestellt … wieder wochenlang gewartet.

In der Zwischenzeit haben wir unter Murren den Arbeitsplatz frei gehalten. Im Team selbst die Arbeiten erledigt. Schließlich wollen wir zusammen in unserer Rastatter Agentur für Marketing und Kommunikation etwas für Flüchtlinge tun und zur Integration beitragen. Lamin ist sehr hilfsbereit, in seinem Heim (offiziell Gemeinschaftunterkunft genannt) ist er sich keiner Arbeit zu schade, repariert, putzt und macht, was man ihm sagt. Für 1,05 Euro die Stunde. Das ist scheinbar legitim. Absurd auch: Jahrelang hat ein Hartz-IV-Aufstocker die Hilfsarbeiten für 10 Euro Stundenlohn bei uns erledigt, der dann in Rente gegangen ist. Genehmigt von der Agentur für Arbeit in Rastatt. Für genau die gleiche Tätigkeit!

Die Agentur für Arbeit – jetzt aber zuständig für Asylbewerber die „Zentrale Auslands- und Fachvermittlung Duisburg“ – hat Lamin Saidy via Ausländerwesen mitgeteilt, dass er gegen die Ablehnung Einspruch einlegen kann. In dem einer Behörde üblichen Beamtendeutsch: „…machen wir Sie darauf aufmerksam, dass es gemäß §82 Abs 1 Satz 1 AufenthG dem Ausländer obliegt, seine Belange und für ihn günstige Umstände, soweit sie nicht offenkundig und bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen Verhältnisse, sonstige erforderlichen Bescheinigungen und Erlaubnisse und sonstige Nachweise, die er erbringen kann, unverzüglich beizubringen, wofür die Ausländerbehörde nach § 82 Abs. 1 Satz 2 AufentG eine angemessene Frist setzen kann.“

Ein wirklich toller Satz, bei dem sicher auch Menschen mit Deutsch als Muttersprache ihre Verständigungsprobleme hätten. Von wegen „einfacher Sprache“, wie sie selbst die Bundesregierung einfordert. Lamin Saidy hat nichts verstanden, als er dieses Schreiben bekam. Er erschrak. Was will die Behörde von ihm? Erst seine ehrenamtlichen Flüchtlingsbegleiter konnten ihn einerseits beruhigen, andererseits enttäuschen. Der frühere Steuereintreiber aus Gambia, der wegen politischer Verfolgung flüchten musste, würde jede Arbeit annehmen; Tatenlosigkeit ist ihm fremd. Aber Absurdistan geht noch eine Runde weiter: Ein erneuter Antrag über uns wurde wieder abgelehnt. Jetzt fordern die Behörden sogar 12,90 Euro die Stunde! Obwohl sich an der Tätigkeit nichts verändert hat! Und wiederum bekamen wir als anfragender Arbeitgeber nicht mal einen Brief. Der komplette Schriftwechsel geht alleine, so sähe es das Gesetz vor, über den Asylbewerber.

Wir haben alles versucht, auch weil wir die Intention der Bundeskanzlerin mittragen wollen: „Wir schaffen das.“ Aber nicht so, Frau Merkel! Am Dienstag war SWR-Redakteurin Constance Schirra für ein Interview mit Lamin Saidy, seinen ehrenamtlichen Flüchtlingsbetreuerinnen Karin Fritz und Sybille Kirchner (SPD-Stadträtin) sowie uns in unserer Agentur. Als ihn die Baden-Badener Journalistin fragte, ob er denn gegen den Bescheid klagen wolle, sagte Lamin nur ein Wort: Er wolle „Frieden“. Geplanter Sendetermin: SWR1 „Arbeitsplatz“, Samstag, 28. November, zwischen 14 und 15 Uhr.

Was meinen Sie? Bitte schreiben Sie mir.

Bereits am 5. August haben wir hier in unserem exakt-Blog über Lamin Saidy berichtet. Damals noch ohne Namensnennung und ohne Bild. Doch dazu ist er jetzt gerne bereit. Foto: Santina Haas, Agentur exakt