Herz – die Alternative zum Hirn
Geschrieben von Ute Kretschmer-Risché | Blog

Was ist wichtiger: Form oder Inhalt? Bislang sprach vieles für die inneren Werte. Doch das hat sich gewandelt. Wer erfolgreich sein will, muss die Verpackung gut wählen. Das kennen wir aus der Produktwerbung. Joghurts mit schönen Bildern von Kirschen oder Erdbeeren müssen keine wirklichen Früchte enthalten; sie verkaufen sich wie geschnitten Brot. Da können Verbraucherschützer predigen, wie sie wollen. Der Verbraucher lässt sich gerne verführen.

Und damit sind wir mitten im aktuellen Thema. Die Analyse der Wahlen. Oder besser: Was macht eine Protestpartei richtig im Sinne von messbarem Erfolg? Und was haben die etablierten Parteien mehrheitlich versäumt? Vielleicht erinnern Sie sich: Ich habe schon mehrmals von der Überforderung der Menschen gesprochen. Immer höhere Ansprüche im Privaten wie im Beruflichen. Noch mehr Technik, noch mehr spezialisierte Abläufe, noch mehr Erfolgsdruck. Die Begeisterung über neue Möglichkeiten, auch die Unabdingbarkeit dem gerecht zu werden, überlagert mögliche Schattenseiten.

Wer dem nicht gewachsen ist, ist außen vor. Der entwickelt Ängste, sieht sich ausgegrenzt und fühlt sich abgehängt bzw. von anderen überholt. Wer in diesem unheilvollen Zustand auch noch bestärkt wird, bekommt Panik. Was hilft da am besten? Ein Joghurt mit einem schönen Bildchen! Oder in dem konkreten Beispiel: Jemand, der meine Sorgen anspricht, ihnen Raum gibt (sie möglicherweise sogar erstmal verstärkt) und simple Lösungen anbietet. Als ob es einfache Rezepte gäbe. Aber wenn es mir dreckig geht (oder auch nur vermeintlich dreckig), dann schert mich keine wohlfeine Analyse, dann will ich einfach nur ein besseres Gefühl. Das hält zwar nicht lange an. Irgendwann lässt der Rausch der Scheinwelt nach. Aber bis dahin trage ich das System mit. Ich löffle Joghurt um Joghurt und glaube sogar, reife Früchte zu schmecken anstatt die Synthetik der Chemie. Applaus für dieses Marketing.

Konkret: Die großen Parteien haben es versäumt, die Herzen anzusprechen. Und das ist nicht mal eine Frage des Bildungsstandes. Versagens- oder Verlustängste können alle ereilen. Da bekommen Betroffene große Augen und Ohren und sind besonders empfänglich für die Form und weniger für den Inhalt. „Wir haben verstanden“ lautet der geniale Slogan von Opel. Klug, wer das nicht nur sagt, sondern es auch wirklich lebt. Wir haben verstanden – das ist der tiefe Ausdruck von einer Protestpartei. Da geht es erstmal nicht darum, wie ein Missstand zu ändern ist. Da geht es um bessere Gefühle und dass ich mich – endlich, endlich – nicht alleine in meinem Elend fühle …

Und die Quintessenz für unsere Branche und unsere Agentur? Wir müssen viel stärker beides bedienen: Kopf und Herz. Ausgerichtet an den Menschen, die wir jeweils erreichen wollen. Das macht es kompliziert. Aber das darf der Adressat nicht merken. Gut wäre, wenn der Joghurt echte Früchte enthalten würde. Dass das in der Warenbeschaffung, in der Produktion, in der Haltbarkeit und im Preis einen Unterschied ausmacht, dürfte klar sein. Und da sind wir wieder am Anfang: Letztendlich läuft sich das System „Mehr Schein als Sein“ zu Tode. Doch bis dahin lassen sich viele gerne blenden.

Mein Tipp für Ihre Aussagen, Ihre Image- und Produktwerbung oder auch Ihre Ansprache für potenzielle Mitarbeiter: Lassen Sie uns ergründen, was Sie, Ihr Unternehmen und Ihre Angebote ausmacht. Was Sie besser können oder machen. Damit wir die Vorteile in ein wohliges Licht rücken. Wir haben verstanden … was Sie brauchen.

Was meinen Sie? Bitte schreiben Sie mir.

PS: Das Foto (von Jens Lingenau) zeigt übrigens den schönen Mund unserer Büroleiterin Jennifer Geiselhardt. Sie verspricht, was wir tatsächlich halten können …